Ahrens-Texte
1973 Jugendbildungsstätte Funkamateure
1968 Jugendbildungsstätte neuer Name
1968 Skilehrgang Jugendleiterschule
1961 NWRV zu Maskenbau in Jugendleiterschule
1960 Einweihung Erweiterung Jugendleiterschule
1980 Burgberg-Gymnasium im Aufwind
1972 Burgy Schomburg-Vortrag
Prof. Dr. Eberhard Schomburg
PSYCHOGYGIENE FÜR DEN ALLTAG
Unsere seelischen Grundbedürfnisse
Psychohygiene als Lehre von der seelischen Gesundheit oder vom Schutz der seelischen Gesundheit ist eine verhältnismäßig junge Wissenschaft im medizinisch-psychologischen Grenzbereich.
„Als psychisch gesund wird der Mensch erachtet, der den psychischen Anforderungen genügt, die ihm von der Gemeinschaft legitimerweise ge stellt werden“ (TRAMER). Dabei liegt der wesentliche Akzent auf der aktiven Teilnahme an den Aufgaben des Lebens: Beruf, Liebe und Ehe, Gemeinschaft. Nach PFISTER (Zürich) stehen heute vier Gefahrengruppen im Vordergrund:
Verängstigung in der Kindheit
Fehlentwicklung und Verkümmerung der Liebe
Enttäuschungen im Berufsleben
Entbehrungen und Vereinsamung im Alter.
Diese Gefährdungen bewirken beim Menschen Verstimmung und Traurigkeit, Entmutigung und Teilnahmslosigkeit, Trotz und Starrsinn, Liebesunfähigkeit, Mißtrauen und gesellschaftsfeindliches Verhalten. Die Psychohygiene möchte helfen, indem sie Wege zur seelischen Ausgeglichenheit und Belastbarkeit aufzeigt.
Seelische Gesundheit beinhaltet eine relative Freiheit von Angst, Bedrohung und Haßgefühlen; ferner eine positive Einstellung zur eigenen Person, zu den Mitmenschen und zum Schicksal.
In der Forderung nach relativer Angstfreiheit liegt das Bekenntnis, daß Angst zum Leben gehört ( „in der Welt habt ihr Angst …“, heißt es in der Schrift, und bei HEIDEGGER lesen wir, Angst sei „die Grund befindlichkeit der wesenhaften Daseinsverfassung des In-der-Welt-seines“)
– Es engt das Gleichmaß unserer Seele nicht ein, wenn wir nicht in der Lage sind, jedem Menschen unserers Bekanntenkreises mit gleicher Sympathie zu begegnen; Haßgefühle aber fügen sich nicht in das Bild seelischer Ausgeglichenheit ein.
Eine gute Hilfe auf dem Wege zu seelischer Gesundheit ist die Erkenntnis, daß wir Menschen nicht nur körperliche (Atmung, Nahrung, Schlaf, Bewegung), sondern auch seelische Lebensgrundbedürfnisse haben. Sie sind allerdings ohne Bedeutung für die Menschen, denen die Frage nach dem Sinn des Lebens fremd ist und die sich mit einer provisorischen („Nach uns die Sintflut“), fatalistischen („Es ist alles vorherbestimmt“), kollektivistischen („Nur immer mit dem Strome schwimmen“) oder gar fanatischen („Meine Ziele sind die einzig richtigen, für ihre Durchsetzung ist jedes Mittel recht“) daseinshaltung begnügen.
Die seelischen Lebensgrundbedürfnisse stellen sich uns nicht etwa als etwas grundsätzlich Neues dar; wir finden sie fast ausnahmslos schon in den Lehren und Geboten der alten Religionsstifter und Philosophen wieder. Die im folgenden kurz erläuterten sechs seelischen Lebensgrundbedürfnissen sind nicht für kurze Stunden der Meditation (und Adoration) gedacht, sondern sie sollen ihre praktische Verwirklichung im Alltag,
im Umgang mit uns selbst und mit unseren Mitmenschen finden:
L i e be als erstes und wichtigstes seelisches Lebensgrundbedürfnis prägt wesentlich schon in den ersten Lebensjahren die Einstellung zum Mitmenschen („Wie ein Kind in den ersten Jahren seines Lebens die Menschen erlebt, so – glaubt es – sei die Welt“). Die Liebesfähigkeit zu steigern ist vordringliche Aufgabe der Erziehung und Selbsterziehung. Sie bedeutet die Verwirklichung der höchsten menschlichen Werte, und sie gestaltet sich vielfältig: In der Zeugung neuen Lebens und in erotischem Begehren, in der Fürsorge der Eltern für ihre Kinder, im liebenden Vertrauen der Kinder zu ihren Eltern, deren sittliche Grundsätze sie freiwillig übernehmen, da sie ihnen von geliebten Vorbildern vorgelebt werden. Auch die Bejahung des Mitmenschen trotz aller Unvollkommenheiten gehört hierher, ebenso die Liebe zu den über persönlichen Werten.
Sicherheit (zuerst als „Nestwärme“ und Geborgenheit erlebt), ist ein weiterer Baustein für seelische Gesundheit, der das Lebensgrund gefühl der Hoffnung festigt, ohne das schwere Belastungen kaum durchgestanden werden können. Gerade in unserer Zeit, in der „der Weltuntergangs vollziehbar geworden ist“ (Max Frisch), ist das Grundbedürfnis nach Sicherheit vordringlich.
A ne r ke n nung (Bestätigung, Erfolgserlebnis).
Wer niemals erfährt, wie seine Mitmenschen, seien es Vorgesetzte, Mitarbeiter oder Familienangehörige, zu seiner Leistung stehen, wird wahrscheinlich auf Dauer gesehen nicht in der Lage sein, mit immer gleicher
Leistungsbereitschaft seine Pflichten zu erfüllen. Schon GOETHE wußte: Wenn wir die Menschen behandeln, als wären sie, was sie sein sollten, so bringen wir sie dahin, wohin sie zu bringen sind.“
Fre i he i t zu schöpferischem Tun als seelisches Lebensgrundbedürfnis bedeutet nicht nur das nicht jedem vergönnte künstlerisch-musische Gestalten, sondern es kann auch in ganz einfacher, aber freudvoller Beschäftigung erfüllt werden. Es ist dabei unwichtig, ob die frei gewählte Tätigkeit dem Lebensalter oder der geistigen Begabung des sie Ausübenden entspricht.
Erlebnisse mit Erinnerungswert können in enger Verbindung mit dem letztgenannten seelischen Lebens grundbedürfnis stehen. Sie lehren uns die Freude an einfachen Dingen und rufen uns auf, immer wieder nach Gelegenheit zu suchen, unseren Mitmenschen durch kleine Aufmerksamkeiten zu zeigen, daß wir an ihrem persönlichen Erleben Anteil nehmen, uns mit ihnen freuen, aber auch ihr Leid mitempfinden können. – Sehr klar hat Wilhelm RAABE die beiden letzten seelischen Lebens grundbedürfnisse – freilich ohne sie als solche zu bezeichnen – in dichterischer Sprache ausgedrückt: „O versteht es nur, Blumen zwischen die öden Blätter des Lebens zu legen; fürchtet euch nicht, kindisch zu heißen bei zu klugen Köpfen, ihr werdet keine Reue empfinden, wenn ihr zurückblättert und auf die vergilbten Angedenken trifft.“
Sei b s t a ch tung als letztes seelisches Lebensgrund bedürfnis in dieser Kurzfassung setzt voraus, daß wir uns in einer stillen Stunde des Nachdenkens „eine Amnestie für die verlorenen Wettkämpfe unseres bisherigen Lebens“ zuerkennen. Wir sollen uns frei machen von den Belastungen, die in unserer Erinnerung mit den Worten beginnen „…hätte ich doch damals…“. Oft treffen wir Menschen im Alltag an, denen alle Selbstachtung abhanden gekommen zu sein scheint. Ständig warten sie auf neues Missgeschick; Glücksfällen mißtrauen sie grundsätzlich, als ob sie immer nur das Unglück herbeiwünschten. Sie sind davon überzeugt, daß sie die bedauernwertesten unter allen Menschen seien. Da die Mitmenschen im allgemeinen nicht bereit sind, ihnen das zu bestätigen, verallen sie einem krankhaften Selbstmitleid, das sie unfähig macht, sich in das seelische Erleben anderer einzufühlen oder „gute Mitspieler im Spiel des Lebens“ zu sein. Echte Selbstachtung bewahrt uns sowohl vor Selbstüberschätzung als auch vor Entmutigung und Minderwertigkeitsgefühlen.
Jeder von uns sollte sich gelegentlich fragen, ob er von anderen Menschen geliebt wird, ob er sich sicher fühlt, ob er in seiner Arbeit anerkannt wird, ob er gelegentlich zu schöpferischem Tun gelangt, ob er offen für neue Erlebnisse ist und ob er Selbstachtung besitzt. Wer glaubt, diese Fragen bejahen zu können, darf die Gewißheit haben, auf dem Wege zu seelischer Ausgeglichenheit zu sein.